Andreas Günther von der LowBeats hat sich ausgiebig mit dem Line Magnetic LM-300IA beschäftigt. Was dabei herausgekommen ist, könnt Ihr hier lesen:

„Träume sind erlaubt – auch wenn sie unrealistisch erscheinen: Einmal eine Single-Ended 300B-Röhre besitzen… Leider teuer. Obwohl: Line Magnetic hebelt mit seinen Modellen alte Preis/Leistungs-Spielregeln aus. Und so geriet auch der brandneue Line Magnetic LM-300IA erfreulich günstig…

Die Frage hört sich despektierlich an. Soll es aber nicht sein: Wie kann etwas so schwer sein – und dennoch so wenig „PS auf den Asphalt bringen“? Oder in harten Zahlen: Ich wuchte den neuen Vollverstärker von Line Magnetic aus dem Karton, schwitze mit 34 Kilogramm in meinen Armen, schicke an die Lautsprecher aber nur 10 Watt pro Kanal.

Das hört sich nach einem Minusgeschäft an – in den Kategorien Kilo, Schweiß und Geld. Obwohl: Mit 4.000 Euro sind wir im High-End-Geschäft noch vergleichsweise günstig unterwegs; auch Line Magnetic vermag deutlich über 10.000 Euro zu springen.

Der Clou liegt im Understatement. Das hier ist nämlich ein maximal stringenter Single-Ended-Verstärker mit 300B-Röhren in der Endstufe. Das sind auf den Fotos die Kolben hinten in der zweiten Reihe, ganz außen. Nominell steht „Line Magnetic“ auf dem Glas, aber gefertigt werden die beiden von PSVANE. Das ganze Gedeck ist kein religiöser Altar, weshalb Line Magnetic bunt mischt – man kauft an, was man auf dem Weltmarkt für das Beste hält. Also stammen die Treiber von LINLAI, zwei 274B – das sind die fast gleich anmutenden Röhren. Vier kleinere Geister davor herrschen über die Eingangsstufe: zwei Electro Harmonix ECC81 und zwei Tung-Sol 6SL7GXT (die mit dem braun-roten Sockel).

Line Magnetic LM-300IA: die Technik

Klar: Die Röhren selbst sind Leichtgewichte, die 34 Kilogramm Lebendgewicht kommen von den bulligen, quadratischen Trafos im Rücken des Amps. Als da wären ein Toroid-Transformator für die Stromversorgung und zwei EI-Ausgangstransformatoren – alle verkapselt, getrennt und frei von Einstreuungen verkabelt. Was eben schon seit der Firmengründung die Gene von Line Magnetic ausmacht: Alle Verbindungen werden von Punkt-zu-Punkt gestrickt. Was nur in Handarbeit gelingen kann – und in direkter Linie zu dem Schluss führt, dass dieser Preis und dieser Aufwand nur dann gelingen können, wenn in Fernost gewerkelt wird. Stimmt: Line Magnetic unterhält eine stattliche Fertigung in Zhuhai. Kennen wir Mitteleuropäer mit unserem eingeschränkten Weltbild natürlich nicht. Zhuhai ist eine 2,5-Millionen-Einwohner-Metropole, genau im Dreieck von Hongkong, Shenzhen und Macau.

Der LM-300IA ist kantig, es gibt einen Käfig über den Röhren, der ihn komplett zum Quader werden lässt. Viele Details sind aber eher modern und liebevoll ausgesucht. Beispielsweise der Einschaltknopf links unten auf der Front. Das ist massives Kupfer – fühlt sich wertig an und gibt uns dreißig Sekunden an spiritueller Bedenkzeit, bis der Amp komplett hochgefahren ist. Rechts der Lautstärkeregler, von ALPS mit mechanischem Motor-Antrieb für die Steuerung per Fernbedienung. Der Rücken überrascht. Nicht die drei Cinch-Eingänge, das kennen wir (plus Subwoofer und Pre-In für den Betrieb als Endstufe). Doch es gibt für jeden Lautsprecherausgang gleich vier Schraubklemmen: Schwarz für die Masse und dreimal Rot für 4, 8 oder 16 Ohm.

Zeit für eine kleine Abhandlung über das Schaltungskonzept, geht schnell, weil es die Profis eh wissen. Die 300B-Röhre gibt es nicht an jeder Straßenecke. Das hebt sie von den vielen, vielen EL34 oder KT88 ab. Das liegt einerseits an ihrer puren Größe, aber auch an ihrer Geschichte. Sie ist ein Kind des Militärs, des frühen Kinos und des Rundfunks. Als Triode wird sie fast ausschließlich in einem Single-Ended-Aufbau betrieben, also als Solist pro Kanal bei überaus geringer Leistungsausbeute. Ich könnte sie auch in einen Push-Pull-Aufbau setzen. Aber das wäre ein Verbrechen – man kann schließlich auch eine Weißwurst auf den Grill legen … Die Fans schwärmen von den bildschönen, harmonischen Werten der zweiten Oberwelle. Ein Feld für Connaisseurs.

Aber die Fakten im heutigen Weltmarkt sind klar: Die meisten 300B entstehen in China. Habe ich viel, viel Geld, dann überlege ich, mir eine Western Electric from the USA zuzulegen. Was aber aktuell zu Ausgaben von 1.700 Dollar pro Paar führt. Der chinesische Anbieter Shuguang hat die Preisspirale nach unten gedreht. Direktes Kind ist PSVANE (eben hier Lieferant der 300B); LINLAI (die 274B-Treiber) gilt als Abspaltung. Je nach Serie kann ich hier für moderates Geld echte Edelkost einkaufen. Wie es eben auch Line Magnetic gelungen ist. Dafür lege ich die Hand ins Feuer: Das ist wirklich gut umgesetzt, im Konzept wie auch in der handwerklichen Kunst. Auf der Oberseite gibt es beispielsweise einen eingesetzten Ampere-Meter, über den ich den Ruhestrom anzeigen und gegebenenfalls nachjustieren kann. Tipp: Es gibt keinen Zwang nachzuregeln, bei unserem Modell lag das Bias ab Werk perfekt. Ein Detail noch: Auf der Front gibt es auch einen 6,3er Klinkenanschluss für den Kopfhörer. Der klingt überaus gut, mit einem grundehrlichen, großen Sub-Verstärker im Gehäuse dahinter.

Klang

Wir sind bei den Klangfragen. Der erste Eindruck mag überraschen: Ich habe die Fakten und die Datenblätter und die Messprotokolle gelesen – und einen eleganten Schwächling erwartet. Das ist der LM-300IA aber überhaupt nicht. Da lag schon in den ersten Takten mehr Druck auf den Lautsprechermembranen, als bei unserem Vergleichsmodell. Dazu gleich mehr. Erst der Blick in die aktuelle Qobuz-Hitliste. Die reinen Zahlen interessieren nicht – Qobuz unterhält eine eigene Redaktion, die Tipps gibt, von Mensch zu Mensch. Diesmal etwas Spannend-Seltsames: „Earcandy“. Aha – also Süßes für das Ohr. Die Künstlerin heißt „Miso Extra“. Wem das alles nicht mutig und verwirrend genug ist: Die junge Dame wurde in Hongkong geboren, hat aber einen britischen und einen japanischen Pass. Alle Einflüsse dieser Welt und ein tiefer Griff in die goldenen Tage des R&B. Aber fordernd: Die Dame fordert sich selbst, ihre Mitmusiker, die Hörer und ganz heftig die HiFi-Kette daheim. Der Titelsong der LP legt mit einem langsamen Schlagzeug los, übergroß dann die Säuselstimme der Künstlerin, mal gedoppelt, die Drums legen zu, es wird groß. Easy Listening zum Verstärker-Töten in High-Res.

Der LM-300IA hält sich nicht nur wacker – er gibt sofort den Überflieger. Erstaunlich, wie er die knorrigen Bassläufe mit Körper anreichert. Sofort ist auch der Charme der 300B-Röhren präsent – die Dame und ihr Team haben einen Hang zum Überhellen, der Line Magnetic stellt es wunderbar auf den Boden und in einen musikalischen Kontext.

Bruce Springsteen hat gerade einen Disput mit seinem Präsidenten. Oder härter: Der Boss und Mister Trump haben sich zu Feinden erklärt. Springsteen legt ein Überraschungsalbum mit Botschaft vor. Ein heißer Livemitschnitt aus Manchester – sechs Tage nach dem Event erschienen. „Land Of Hope & Dreams“ kommt mit drei Songs daher und starker Atmosphäre. Tolle Band, allein das Saxofon-Solo in „My City of Ruins“ ist schönste Poesie. Gänsehaut, wenn der Background-Chor einsetzt. All’ das gelingt dem Line Magnetic mit Souveränität, Entspanntheit und starken Farben. Alles, wofür man Musik liebt und Röhrenamps eben dazu.

Klar haben wir diverse Transistor-Amps als Konkurrent daneben laufen lassen: den Cambridge Edge A, ebenfalls ein Schwergewicht. Zudem mit der vielfachen Leistung. Doch das Herz bleibt kalt und die reinen Leistungswerte verdampfen als Argumente. Aber der Fezz Silver Lina Prestige (2.800 Euro)? Auch dies eine Röhre, aber wahlweise zwischen Pentode oder Tetrode unterwegs und mit doppelten 35 Watt deutlich stärker. Hört man aber nicht. Bei der puren Präsenz an den Lautsprechern liegen beide Röhrenverstärker gleich auf. Ja, der Fezz wirkt einen Hauch eleganter. Aber der Line Magnetic zielt schöner auf das musikalische Lebensgefühl. Nicht so filigran, aber samtig, wuchtig, auch vor den Ohren der größere Monolith.

Ich will es nochmals prüfen, bei Klassik und kleiner Besetzung. Weil man bei einem Streichquartett enorm viel Rauminformationen hören kann, plus die feinen Schwingungen zwischen vier Menschen und 16 Saiten. Hörtipp, ganz neu: Das Mandelring-Quartett spielt Dvorak, vom deutschen Label audite in High-Res aufgezeichnet, es ist aber auch im großen Dolby-Mix zu haben. Der interessiert uns weniger, aber das Missverständnis, dass Streichquartette immer schwer und karg und lebensfeindlich sein müssen.

Die Symphonie „Aus der Neuen Welt“ kennen alle, doch Dvorak hat auch ein „amerikanisches“ Streichquartett geschrieben. Freude und Zuversicht in jeder Note. Beim „Vivace“ kann man die Füße nicht stillhalten – das sind echte „Songs“, die Dvorak von den Menschen in den noch jungen USA abgelauscht hat, ganz tief unten kann man auch den Jazz ahnen. Eine der Top-Aufnahmen der Gegenwart. Der Fezz liebte die Brillanz der beiden Geigen, der Line Magnetic baute sein Klangbild eher aus Cello und Bratsche auf, alles klingt glutvoller, tiefer, aber auch reicher in der harmonischen wie räumlichen Staffelung.

Fazit Line Magnetic LM300IA

Vergessen Sie die Zahlen. 10 Watt? Völlig nebensächlich, dieser Verstärker hat Kraft, Eleganz, Schub. Ich würde ihn nicht an übergroße Standboxen mit lausigem Wirkungsgrad anschließen. Aber alles andere ist machbar und erstrebenswert. Die Verarbeitung zeigt den Willen zur Weltklasse, da spürt man keine chinesische Massenware. Was der LM-300IA sicherlich auch nicht ist. Ja, er scheint aus einem Geschichtsbuch von Western Electric entsprungen. Was soll’s? Wir sind die Profiteure – zu diesem Preis kann man eine 300B-Röhre nicht besser inszenieren.“

Hier geht´s zum Original mit weiteren Fotos: https://www.lowbeats.de/test-vollverstaerker-line-magnetic-lm-300ia-die-satte-kraft-der-300b/?fbclid=IwY2xjawK8tipleHRuA2FlbQIxMABicmlkETB6cERRZ0NOMGlac3JBdExIAR4KP-50LTPFa0rWHnhkf3xzPOoKZY_pn1DVdprGCV6yvUNMdPaKvOoUar3PFQ_aem_Zfer38ONq5zTXK2johL9bA

Das Röhren-Schmuckstück auf den deutschen Line Magnetic-Seiten: https://www.linemagnetic-deutschland.de/produkte/vollverstaerker/lm-300ia

Der LM300IA im Shop: https://www.audiolust.de/Line-Magnetic-LM-300IA/LM300IA